Leseprobe aus Mantel der Gerechtigkeit

Die Prophetie

 

 

Gemeinsam werden sie gegen IHN Krieg führen.

 

 

Doch ER wird sie besiegen,

 

weil ER König über alle Könige ist.

 

 

Und die, die zu IHM gehören,

 

werden die Berufenen und die Auserwählten

 

und die Treuen genannt.

 

 

 

 

 

 

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Gestrandet

 
 

Er wachte auf und wusste, dass sich etwas verändert hatte.

 

Noch immer hörte er das sanfte Schlagen der Wellen. Doch die wogenden Bewegungen des Wassers, das ihn zwei Tage getragen hatte, waren einem festen Untergrund gewichen.

 

Die hölzerne Planke, an die er sich geklammert hatte, lag noch neben ihm, als er die Augen aufschlug.

 

Mühsam richtete er sich langsam auf. Ein Stöhnen der Erleichterung entfuhr unwillkürlich seiner Kehle, als ihm bewusst wurde, dass er überlebt hatte.

 

Ob noch einer der Männer am Leben war, die mit ihm auf dem Boot unterwegs gewesen waren? Zwei waren vor seinen Augen in den dunklen Tiefen des Meeres untergegangen. Die anderen fünf waren sofort von der Finsternis der stürmischen Nacht verschluckt worden.

 

2

 


Seine Zunge klebte am Gaumen fest und fühlte sich dick geschwollen an. Langsam richtete er sich ganz auf und sah sich um.

 

Vor ihm lag das Meer, ruhig und unschuldig. Er selbst schien sich auf einer steinigen Insel zu befinden. Nur hier und da ragten dürr vertrocknete Grasbüschel zwischen den Steinen heraus. Rings um ihn war das Meer von kleineren und größeren steinernen Inseln unterbrochen, die nicht anders aussahen als die, auf der er sich befand. Sanft erhoben sie sich aus dem Meer.

 

In der Ferne verdunkelte sich der Himmel mehr und mehr. Er konnte erkennen, wo der Regen bereits niederging. In dicken, dunklen Strichen verband sich dort der Himmel mit dem Meer. Schnell näherte sich die Regenwand seiner Insel. Schon konnte er sehen, wie das Meer dort aufspritzte.

 

Er schaute sich um, ob er einen Unterschlupf finden konnte. Doch da war nichts als spitzes Gestein, das ihm in die Füße stach.

 

3

 

Rasch kam die dunkle Front näher und er spürte die ersten dicken Regentropfen auf seinem Gesicht. Schnell kam der Regen, prasselnd und voll. Er riss seinen Mund weit auf, um möglichst viel aufzufangen. Der Regen wusch ihm die Salzkrusten von der Haut und löschte seinen schlimmsten Durst. Der Regen rettete ihm das Leben.

 

Hätte er gewusst, wem er dafür danken könnte, er hätte es getan. Auch für die Schiffsplanke, die im Sturm gegen ihn gestoßen war. Immer und immer wieder, bis er endlich danach gegriffen hatte. Sie war groß genug gewesen, um sich draufzulegen und sie umklammern zu können, wie die Frau, an die er in diesen Stunden oft gedacht hatte.

Als sich zu seiner rechten Seite die tief hängende Wolkendecke verzogen hatte, gab sie den Blick auf eine nahe liegende Bergkette frei, die hoch emporragte. Aus der Ferne meinte er, dort dunkle Stellen zu erkennen, die sich von dem

 

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hellen Gestein, aus dem die ganzen Inseln zu bestehen schienen, deutlich abhoben.

 

Sein Blick fiel auf die Planke vor ihm, die ihn zwei Tage durchs Wasser getragen hatte. Noch einmal ließ er seinen Blick ringsum schweifen. Nichts als Steine, kein einziger Baum. Auch die Inseln in Sichtweite schienen sich nicht von dem Flecken Land zu unterscheiden, auf dem er sich befand.

 

Er bückte sich, um das Gewicht des Holzes zu prüfen. Mit einem Ruck hievte er es auf seine breiten Schultern. Ein Stück weit konnte er es tragen, auch wenn es schwer war, noch vom Wasser durchtränkt.

 

Entlang des Wassers suchte er sich eine Stelle, die ihn möglichst nahe zum gegenüberliegenden Ufer brachte. Es war machbar. Ja!

 Bald schon hatte er eine Landzunge erreicht, die direkt zum Festland hinausragte und die flach genug ins Wasser verlief. Mit letzten Kräften und blutigen Füßen stolperte er dorthin. Rote Spuren zeichneten seinen Weg über das spitze Gestein.

 

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Zunge im Mund. Der Hunger nagte erbärmlich an ihm. Nur Steine und sein Brett. Stumpf starrte er ins Wasser, das hier in kleinen Buchten flach auf das Land traf. Zuerst nahm er die kleinen Bewegungen nicht bewusst wahr. Dann aber erkannte er darin fingerlange Fische, die sich in kleinen Schwärmen dort aufhielten. Sehr langsam trat er Schritt für Schritt ins Wasser, bis er hüfttief stand. Seine Hand tauchte unter Wasser. Reglos stand er dort, bis die Schwärme zurückkamen und um ihn herum schwammen.

 

Schnell griff er zu, wieder und wieder, bis er endlich mit der Hand einen der Fische umschlossen hatte. Ohne Zögern schnellte sein Arm zu seinem Mund und entlud dort die zappelnde Beute.

 

Er kaute nur wenige Male und schluckte.

 

Zweimal noch gelang ihm sein Unterfangen. Dann beendete er es enttäuscht, denn nur der salzige Geschmack im Mund war ihm übriggeblieben und sein Körper verlangte nach weit mehr als dreier erbärmlich kleiner Fische.

 

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Die Sonne stand noch hoch genug. Ein paar Stunden hatte er noch Licht. Das sollte genügen.

 

Ächzend legte er das Brett ab und schob es ins Wasser. Ein kleines Stück schob er es vor sich her. Dann legte er sich bäuchlings darauf. Mit den Armen schob er das Wasser weg und paddelte zusätzlich mit den Füßen, das andere Ufer fest im Blick.

 

Was anfangs leicht ging, wurde bald mühsam und für seine Muskeln schmerzhaft. Nur kleine Pausen gönnte er sich. Wie in den Tagen zuvor, brannte ihm das Meerwasser in den Augen.

 

Mechanisch schob er seine Arme im Wasser nach vorne, drückte das Meer hinter sich und kam so Zug um Zug ans andere Ufer, das ihm mit demselben spitzen Gestein Füße und Arme aufschnitt. Mit letzter Kraft zog er sich beim schwindenden Tageslicht ans höher gelegene Ufer, blieb liegen und schlief sofort völlig ermattet ein.

Erst die wärmende Sonne weckte ihn am späten Morgen. Wieder lag dick und taub seine

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Wieder richtete er seinen Blick auf die nahe Bergkette, und so folgte er diesem über mehrere Hügelkämme. Hitze stieg aus den Steinen in seine Füße und von oben in seinen unbedeckten Kopf.

 

Abrupt endete sein Weg, als die Felsen vor ihm steil ins Meer abbrachen. Wieder trennte ihn das Meer vom Festland, wie er bitter erkennen musste. Er befand sich erneut auf einer Insel, wenn auch näher zum Festland gelegen. Seine Holzplanke hatte er liegen gelassen, im Glauben sie nicht mehr zu brauchen. Kein einziger Baum war zu sehen.

 

Schritt für Schritt kämpfte er sich auf dem Grat entlang, um wiederum einen möglichst kurzen Meeresweg zu finden. Eine Stunde, in seinem Zustand vielleicht zwei Stunden, vermochte er zu schwimmen. Das Wasser war ruhig. Heftig atmete er ein und aus.

 

Doch plötzlich löste sich das lose Gestein unter ihm und er rutschte mitsamt Geröll über den steilen Hang hinab ins Meer.

 

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Laut klatschend versank er zusammen mit den Steinen im Wasser. Panik wollte sich seiner bemächtigen, doch er zwang sich, nach oben zu tauchen. Dort schnappte er laut prustend nach Luft. Seine Gliedmaßen konnte er alle bewegen. Dankbar registrierte er, dass er sich bei seinem Sturz nichts gebrochen hatte.

 

Den hoch aufragenden Bergkamm vor sich, begann er zu schwimmen. Gedankenleer nahm er Zug um Zug. Wenn er dort nicht Wasser und Nahrung fand, würde er ohnehin nicht mehr lange überleben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Die Hand

 

 

 

Zuerst hörte er nur Stimmen.

 Dann aber spürte er, wie ihn etwas am Kopf traf. Erschrocken versuchte er, es abzustreifen.

 Da wieder. Stimmen! Näher!

 Erneut traf ihn etwas Hartes.

 Doch sein Mund ließ sich zu keinem Laut öffnen, um auf sich aufmerksam zu machen.

 

Das kleine Fischerboot kam in sein Blickfeld. Er sah zwei dunkle Schatten im blendenden Gegenlicht, die wild fuchtelten. Sie hatten ihm ein festes Seil entgegengeworfen, immer und immer wieder. Aber erst jetzt sah er es. Er griff danach. Spürte sofort einen Zug. Und hielt fest. Er wurde zum Boot gezogen. Starke Arme packten ihn unsanft unter den Schultern und er glitt wie ein nasser Fisch über den Bug in die Mitte des Bootes. Dort blieb er inmitten des Fanges liegen.

Heftig atmete er aus und ein, bevor er die Augen öffnete. Die Schatten hatten sich zu ihm

 

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herabgebeugt und sprachen immerfort in einer ihm völlig unbekannten Sprache auf ihn ein.

 

Ein faltiges, sonnengebräuntes Gesicht über ihm nahm Konturen an. Der große sprechende Mund. Wild und zerzaust umrahmten die sonnengebleichten Haare das fremde Gesicht.

 

Langsam drehte er seinen Kopf zu der jüngeren Stimme. Ein braungebrannter Jungmännerkörper ragte vor ihm auf. Stolze, freudig strahlende Augen trafen die seinen.

 

Da erst ließ seine ganze Anspannung nach und er verzog sein Gesicht zu einem ebenso breiten Grinsen, wie das des Jünglings über ihm.

 

„Joško.“ Dabei hämmerte der Jüngling auf seine Brust. Sein Grinsen steigerte sich zu einem glucksenden Lachen.

 

„Joško, Joško“, wiederholte er und zeigte dann auf ihn. Seine dunklen Augenbrauen zogen sich in Erwartung einer Antwort nach oben.

 

Er hatte ihn wohl verstanden. Aber seine Frage zu beantworten fiel ihm nicht leicht.

 

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„C…“ Seine Zunge wollte ihm einfach nicht gehorchen. Die ältere Stimme befahl dem Jungen etwas. Dieser wandte sich um und angelte aus einem Korb einen ledernen Beutel. Vorsichtig löste er in dem schwankenden Boot den korkenen Stöpsel. Rasch ging sein Blick zu dem Älteren. Wahrscheinlich nickte er ihm zu, denn nun beugte er sich zu ihm herunter, um ihm die Öffnung an den Mund zu halten. Ein dicker Strahl Wassers ergoss sich ihm in den Mund. Er verschluckte sich daran und begann zu husten. Beim nächsten Versuch legte Joško ihm die Hand unter den Kopf und hob ihn etwas an. Kurz ließ er ihn schlucken. Eins ums andere Mal, bis er genug hatte.

 Erneut versuchte er seine Zunge zu bewegen. Dieses Mal gehorchte sie ihm, wenn auch nicht so kräftig, wie normalerweise seine Stimme war.

 „Cédric“, kam es schwach aus seinem Mund. Aber Joško verstand und lachte auf.

 „Cédric“, wiederholte dieser und hatte offensichtlich Freude daran.

 Cédric nickte.

 

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Der junge Mann griff ihm unter die Schultern und gab ihm so zu verstehen, dass er sich aufrichten sollte. Das kleine Boot unter ihnen kam heftig ins Schaukeln, als Joško ihn auf die Bank im Bug zog. Ihm gegenüber nahm Joško seinen Platz ein und griff nach den Rudern. Mit gleichmäßigen Zügen zog er die Ruder durch das Wasser und sie näherten sich rasch dem Ufer.

 

Dieses hob sich wild zerklüftet aus dem Wasser. Sie steuerten eine kleine Bucht an, an deren Hang sich mehrere Häuser befanden. Zwischen den spitz aus dem Wasser ragenden Felsen lenkte Joško sie sicher hindurch. Die Bucht endete an einer kleinen Anlegestelle. Stufen waren dort aus dem Stein geschlagen und führten zu einem hölzernen Tor, das zwischen Fels und Mauerwerk eingebettet war. Eine aus dem Felsen gehauene Treppe führte zu dem höher gelegenen Haus. Joško und der Ältere halfen ihm aus dem Boot.

Sie brauchten nicht viele Worte, Cédric verstand auch so, was ihnen der Ältere bedeutete.

 

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Er sollte mit Joško mitgehen, während er selbst das Boot entlud und im Kellerraum hinter dem Tor ihren Fang versorgte.

 

Joško griff ihm herzhaft unter die Arme, sodass er sich auf ihn stützen konnte. Dankbar nahm er diese Hilfe an, denn der Boden schwankte bedenklich unter ihm. Noch ehe sie sich an die steilen Treppenstufen he-ranmachten, begrüßte sie eine aufgeregte Mädchenstimme von oben, die sich von der Terrasse oberhalb des Kellers zu ihnen herunterbeugte.

 

„Joško, koga bi?“

 

Cédric sah in zwei freudig aufblitzende Augen.

„Moja sestra!“, grinste ihn Joško mit einem verschwörerischen Lächeln an. Und schon war sie die Stufen hinuntergesprungen, um den seltsamen Fang ohne jede Scheu genauer zu begutachten. Von seiner einstigen Kleidung waren nur noch Fetzen der Hose übrig geblieben. Seine dunkel behaarte breite Brust verbarg die vielen Narben. Die dunkle verworrene Mähne gab ihm ein zusätzlich wildes Aussehen und stand im krassen

 

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Gegensatz zu dem ordentlich hell leuchtenden Zopf, der ihr lang geflochten über die Schultern nach vorne fiel.

 

Er überragte Joško kaum, obwohl dieser sicher noch nicht ausgewachsen war. Seine Muskelpakete waren dagegen deutlich mehr ausgeprägt und zeigten sein ausgereiftes Mannesalter. Er wusste, dass ihn die Frauen gerne betrachteten, und so störte er sich auch nicht an den neugierigen Blicken des Mädchens. Sie waren nie abgeneigt … Ein kurzer Schatten huschte über sein Gesicht.

 

Joško unterbrach ihr gegenseitiges Begutachten.

 

„Moja sestra“, wiederholte er.

 

„Mila“, kam sie schnell sprudelnd zuvor.

 

Mila, Joško. Nun war er wieder an der Reihe sich vorzustellen.

 

„Cédric.“

 Mühelos sprach sie seinen Namen nach, wie schon ihr Bruder zuvor.

 

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Der ältere Fischer – Cédric nahm an, dass es ihr Vater war – trat aus dem Dunkel des geöffneten Kellerraumes heraus und scheuchte sie nach oben.

 

„Dein Vater?“, fragte Cédric, an Joško gewandt.

 

Dieser nickte. „Da, moj otac.“

 

Langsam fand Cédric an dieser neuen Sprache Gefallen.

 

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Leseprobe aus Das Bekenntnis

 

Die Prophetie

 

 

 

 

 

 

 

Ich werde mein Volk durch mich,

 

den HERRN, stark machen,

 

und in meinem Namen wird mein Volk leben,

 

spricht der HERR.[1]

 

Unabänderlich ist dieser Eid.[2]

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


 

 



[1] Vgl. Sacharja 10,12

[2] Vgl. Hebräer 6,17

 

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Herzklopfen

 

 

 

Mit klammen Fingern versuchte Cathline ihren fadenscheinigen Umhang zusammenzuhalten. So wie sie auch ihre Tränen zurückzuhalten versuchte.

 

Heftig sog sie die feuchte und kalte Luft ein. Mit einem langen Atemstoß stellte sie sich der Begegnung, die über ihr weiteres Schicksal entscheiden sollte.

 

„Seht, Kindchen!“ Die alte Frau an ihrer Seite drückte ihr dabei energisch mit ihrer verrunzelten Hand in den Arm. „Dort kommt er!“

 

Mit klopfendem Herzen wandte Cathline ihren Blick in die Richtung, die ihr die Alte wies. Die zwei Männer, die ihnen von dort zwischen den Stallungen entgegenkamen, blickten zum Himmel und schüttelten verwundert ihre Köpfe. Wild flogen ihnen die Schneeflocken ins Gesicht. Die grauen Wolken ließen immer wieder die Sonne hindurch, sodass der Schnee sofort wieder schmolz, sobald er die Erde erreichte. Ihre Gesichter konnte sie nicht deutlich erkennen, da sie ihre Hüte tief ins Gesicht gezogen hatten.

Beide trugen sie Arbeitskleidung; ein wollenes Hemd, hohe Stiefel und ein ledernes Wams, das sie gegen die Morgenkühle schützte. Dies und die wettergegerbten Gesichter hätten sie beide gleichermaßen als Bauern gekennzeichnet, wüsste sie nicht, dass einer der beiden der Seigneur des Gutes sein musste.

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Inzwischen waren sie dichter herangekommen, nahmen aber noch immer keine Notiz von der kleinen Gruppe, die ihnen entgegensah. Der eine, erkannte sie nun, konnte nicht viel älter als sie selbst sein. Der andere, ein dunkelbärtiger Hüne, starrte auf seine ledernen Stiefel hinab, die zweifellos das Wasser nicht mehr zurückhalten konnten und ihm schon am frühen Morgen nasse Füße bescherten.

 

Verunsichert glitt Cathlines Blick von dem nur wenig älteren Hünen wieder zurück zum Jüngeren, der in eben diesem Moment in ihre Richtung sah.

 

Rasch wandte Cathline ihren Blick von ihm ab und drehte sich Hilfe suchend der Alten neben ihr zu. Diese nahm aber keine Notiz von dem Unbehagen der jungen Frau. Vielmehr schob sie diese aus dem Schatten der schützenden Hütte ins Freie. Selbst aber trat die alte Magd hinter Cathline zurück, während ihr Mann, der sich bislang im Hintergrund gehalten hatte, aus dem Schatten heraustrat und auf die beiden Männer zueilte.

 

„Seigneur! Seigneur Jean, entschuldigt.“ Stockend brach er ab und neigte seinen Blick, zur Überraschung von Cathline, vor dem Jüngeren.

 

„Was gibt es denn, Jacques?“ Verwundert richtete er seine Aufmerksamkeit dem herangekommenen Knecht zu.

 

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„Nun, Herr, diese“ – kurz hielt er stockend inne – „diese junge Frau dort sucht Arbeit.“ Sichtlich unangenehm über sein Anliegen, senkte er den Kopf noch tiefer und schaute verstohlen zu den beiden wartenden Frauen zurück.

 

„Du weißt doch, dass ihr Dahergelaufene fortschicken sollt!“, gab der junge Mann unwirsch zurück, hatte aber den unglücklichen Blick des Knechtes bemerkt und schaute nun doch in dessen Richtung.

 

 

 

Wie schämte sich Cathline plötzlich, als sie den abschätzenden Blick, der sie musterte, auf sich spürte. Sie hatte ihr Möglichstes getan. Dennoch war ihr Kleid schmutzig und am Saum zerrissen. Ihre kastanienbraunen Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten, der jedoch unter einem wollenen Kopftuch verborgen war. Schmerzlich war sie sich ihrer verwahrlosten Erscheinung bewusst und nur mühsam hielt Cathline den Drang zurück, davonzulaufen.

 

Während der Bärtige sich abwandte, trat der Angesprochene mit wenigen kraftvollen Schritten auf sie zu. Auch er war groß gewachsen, stellte sie erstaunt fest. Sollte dieser also der Herr des Gutes sein? Mit einem kaum wahrnehmbaren Knicks blieb sie starr stehen und bohrte ihren Blick in den Boden.

 

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Dabei sah sie die flehentlichen Blicke nicht, die die alte Magd unverhohlen mit dem jungen Herrn wechselte.

 

 Einen langen Augenblick herrschte banges Schweigen.

 

„Wie ist Euer Name?“ Seine kräftige Stimme durchschnitt plötzlich die erdrückende Stille, und da sein Tonfall kein Misstrauen erkennen ließ, schöpfte sie Hoffnung.

 

„Cathline, mein Herr.“ Mit diesen Worten sah sie langsam auf. Mit der Morgensonne im Rücken lagen seine Augen im Schatten und sie hätte nicht sagen können, welche Farbe sie hatten. Aber sein Gesicht strahlte Offenheit und Neugierde aus, wodurch sich ihre Aufregung etwas legte und ihr Atem ruhiger wurde.

 

„Wenn Ihr die Arbeit nicht scheut, so könnt Ihr bis auf Weiteres bleiben. Nicolas wird Euch sagen, was zu tun ist.“ Er deutete mit dem Kopf auf ein kleines Stallgebäude, vor dem sich der Hüne zu schaffen machte und sie von dort aus beobachtete.

 

„Ich danke Euch, Herr!“

Unverwandt forschte er in ihren Augen und Cathline hoffte inständig, dass er nicht allzu tief in sie hineinblicken konnte. Ein kurzes Nicken seinerseits beendete die Vorstellung abrupt und ohne einen

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weiteren Ton von sich zu geben, wandte er sich ab und ging auf das große Herrenhaus zu.

 

Erleichtert atmete Cathline aus. Er hatte sie nicht fortgeschickt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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